Mein Zahnarzt ist weg. Spurlos verschwunden, einfach so. Wie vom Erdboden verschluckt.
Zeit meines Lebens habe ich ein, sagen wir mal, angespanntes Verhältnis zu Zahnärzten. Nur, um es nicht gestört zu nennen. Es ist mir nach wie vor ein Rätsel, wie ein gesunder, erwachsener Mann freiwillig Zahnarzt werden will. Muss er, weil’s der Vater schon war und die Praxis eh da ist? Gab’s keinen anderen freien Studienplatz? Oder ist es sadistische Veranlagung? Gleiches gilt meiner Meinung nach übrigens auch für Frauenärzte.
Wie dem auch sei, seit meinem 17. Lebensjahr arbeite ich aktiv an einem einigermaßen verträglichen Verhältnis dem Mann mit Bohrer und Mundschutz gegenüber. Ich dachte, ich sei nun in fortgeschrittenem Alter auf dem besten Weg dazu. Pustekuchen. Nix wars. Er hat mich im Stich gelassen, maßlos enttäuscht.
Er ist einfach verschwunden. Genau so muss sich wohl eine betrogene und verlassene Ehefrau fühlen. Ausgenutzt, verraten, hilflos, wütend und was weiß ich was…. Und mit ihm sind all meine Unterlagen verschwunden. Ich denke, dass er bereits eine eigene Schublade für meine Patientenakte hatte. Wahrscheinlich sind alle Röntgenbilder und das Bonusheft samt dem Schubfach entsorgt.
Keine Ahnung, wo meine Panik vor dem Zahnarzt her rührt. Es war einfach schon immer so und ich denke, es muss wohl ein traumatisches Erlebnis aus einem früheren Leben ursächlich sein. (Denn eigentlich gehöre ich nicht zur zimperlichen Sorte. Ich habe auch überhaupt gar keine Angst vor Spinnen und ich kann sogar beim Geocaching nachts alleine durch den Wald laufen☝🏽. Das ist schon extrem mutig. Finde zumindest ich.) Schade, dass die Zahnärzte nun darunter leiden müssen.
Zwei jährliche Zahnarzttermine kann ich locker über das ganze Jahr ziehen.
Mein Ziel war es immer, zweimal jährlich den zahnärztlichen Pflichtbesuch durchzuziehen. Meist war es so, dass ich vier Wochen nach dem letzten Besuch den Anlauf für den kommenden starten musste, sollte es in den nächsten fünf Monaten was werden. Denn es dauerte und dauerte, bis ich mich dazu durchringen konnte, telefonisch einen Termin zu vereinbaren. Das größte Glück war dann, wenn besetzt war. Nun hatte ich wieder einige Wochen Aufschub, denn ich kam ja nicht durch. Sobald dann doch ein Termin klar war, wartete ich Tage vorher auf ein Kratzen im Hals. Man kann unmöglich erkältet zum Zahnarzt gehen. Viren und so. Voll unverantwortlich und unfair den Mitmenschen gegenüber. Und der arme Arzt erst. Geht gar nicht. Blieb das Kratzen nach mindestens zwei abgesagten Terminen aus, und mir fiel trotz aller Kreativität nix ein um mich zu drücken, hatte ich bereits morgens beim Aufstehen ein flaues Gefühl im Magen. Im Laufe des Tages breitete sich das Gefühl immer weiter und weiter in meinem Körper aus. Es endete mit wackligen Knien und pitschnassen Händen auf dem Behandlungsstuhl. Mit einem Kloß im Hals, den mein pochendes, rasendes Herz mit jedem verfügbaren Tropfen Blut in den Kopf zu drücken drohte. Für Arme und Beine blieb da kein Blut mehr übrig.

Einmal da, gibt es kein Zurück
Saß ich erstmal da, war ich mir immer sicher, dass keine der drei Geburten meiner Kinder annähernd so schlimm war. Okay, auch Geburt ist scheiße. Richtig scheiße. Aber ich habe alle drei ohne medizinische Hilfe und Medikamente überstanden. Bei so einer Geburt kriegt man ja was dafür. Also ein Kind mein ich halt. Und dann rentieren sich die Strapazen ja durchaus. Beim Zahnarzt kriegt man höchstens ’ne fette Rechnung. Sich das Bein zu brechen ist auch nicht gerade witzig. Doch das bricht man sich, dann sind die Schmerzen einfach da und man weiß, es wird nur immer besser. Anders beim Zahnarzt. Jajaja… Es tut ja gar nicht weh. So ein Schmarrn. Alleine die Schmerzen, die die Geräusche einer Zahnarztpraxis in den Ohren verursachen, würden ausreichen.
Voller Anspannung krallte ich mich immer am roten Echtledersessel fest. Denn man weiß ja im Vorfeld nicht, wie schlimm es werden wird. Und dass es immer schlimmer und schlimmer werden kann, weiß man eben auch. Dass ich bei der Verabreichung einer lokalen Betäubung mal aus den Latschen gekippt wäre, hätte ich nicht auf dem Behandlungsstuhl gelegen, warf mich in meiner Zahnarzttherapie um Jahre zurück. Seitdem weiß ich, dass man den Behandlungsstuhl so verstellen kann, dass die Beine hoch liegen. Und ich weiß auch, dass in den Zahnarztpraxen Kreislauftropfen vorhanden sind. Außerdem weiß ich nun, wie unglaublich viele Zahnarzthelferinnen in einer einzigen Praxis rumgescheucht werden. Das ist ’ne ganz schöne Menge, wenn man sie alle im Zimmer hat.
Wo isser denn nur 😳 ???
Mein Zahnarzt, aus Datenschutzgründen nenne ich ihn Dr. S., war jedenfalls immer sehr verständnisvoll. Er trug stets Handschuhe. Nicht wegen der Bakterien, sondern wegen der Fingerabdrücke, wie er mir versicherte. Er erklärte mir auch, dass nicht jeder so gute Zähne haben könne wie mein Vater, denn sonst wäre er pleite. Auch mit der Mitleidstour probierte es Dr. S.. Ich solle mir doch mal vorstellen, welch beschissenes Leben er habe. Denn keiner könne einen Zahnarzt leiden, niemand komme gern zu ihm. Selber schuld, dachte ich mir. Von mir aus hätte er gerne Frisör werden können. Bei jedem Besuch mit meinen Kindern erzählte er ihnen mit einem hämischen Grinsen im Gesicht, wie tapfer denn ihre Mutter sei. Und er brachte es tatsächlich fertig, dass all meine Kinder sehr gerne zum Zahnarzt gehen. Dafür bin ich ihm trotz allem sehr dankbar. Und selbstverständlich auch meinem Mann für die weitergegebenen Gene.
Dr. S. weigerte sich jedoch, mir die Weisheitszähne zu ziehen. Er schickte mich zu einem Kieferchirurgen, mit dem Rat, dies doch stationär unter Vollnarkose durchzuziehen. Ich war sehr dankbar und sofort einverstanden, lag aber anschließend drei Tage im Krankenhaus. Mal wieder wusste ich vorher nicht, wie schlimm es werden kann. Aber Dr. S. wusste es. Und damals hatte ich noch keine Kinder. Noch eine Woche später erkannte mich meine Nachbarin im Wartezimmer meines Hausarztes nicht. Frag bitte nicht!!!

Leider isser weg
Ich war ja schon der Meinung, dass ich in fast drei Jahrzehnten ein mittlerweile tolles Verhältnis zu Dr. S. aufgebaut hatte. Also so für zahnärztliche Verhältnisse mein ich halt. Wäre er kein Zahnarzt gewesen, hätte ich in dem Zusammenhang beinahe die Worte „leicht freundschaftlich“ verwendet. Solltest du zufällig Dr. S. kennen, dann richte ihm doch bitte aus, dass ich mich gerne verabschieden würde. Ich tät ihm dann alles Gute wünschen und mich bedanken. Sollte er meine Patientenakte noch haben, so nehme ich sie gerne. Mit Schublade, in die pflanz‘ ich dann nämlich Blumen, denn das sieht sehr schick aus.

Im Laufe der Jahre habe ich irgendwo mal gelesen, dass Zahnarztpanik voll Psyche sein soll. Seit dem stelle ich mir vor, dass gar nicht ich auf dem Stuhl liege, sondern statt dessen hock‘ ich rechts oben in der Zimmerecke und sehe dem Drama als Unbeteiligte zu. Das betrifft mich dann gar nicht. Die letzten Male war ich damit beschäftigt zu klären, WORAUF ich denn sitze. Ich weiß es noch immer nicht. Und das ziehe ich nicht nur durch, wenn der Bohrer aus der sterilen Verpackung gepellt wird, sondern es ist auch bei einer pupsi Zahnreinigung nötig. Aber seitdem geht’s ganz gut. Lach nicht, das funktioniert. Nicht mit mir, liebe Psyche!!!
Aber das Leben geht weiter…
Und nun? Ich stehe völlig verlassen da. Ohne Röntgenbilder und ohne Bonusheft. Schon von mehreren Leuten habe ich erfahren, dass die Praxis von Dr. S. dicht ist. Warum? Weiß kein Mensch. Trotzdem habe ich monatelang da angerufen, um mir die Bandansage anzuhören, dass ich außerhalb der Sprechzeiten anrufe. Es machte mir auch gar nix aus, zum Telefon zu greifen, denn ich wusste ja, es geht niemand ran.
Trotz allem, ein neuer Zahnarzt muss wohl her.
Tapfer und voller Mut habe ich bereits eine Wahl getroffen. Diesmal ist es eine ZahnÄRZTIN. Sie wurde mir empfohlen, und man kann bei ihr die Termine online buchen. Ich spar mir also schonmal das Telefongespräch. Die Homepage ist sehr schmuck und soweit ich da sehen konnte, hat sie grüne Behandlungsstühle aus veganem Leder.
Kinder zuerst
Da ich eine gute Mutter bin, habe ich die ersten Termine für meine Kinder vereinbart. Denn Zahnprophylaxe ist sehr wichtig. Meine große Tochter war bereits da und berichtete, die Frauen da seien alle sehr, sehr nett.

Und doch glaube ich, dass sich wieder das flaue Gefühl in den Magen zurück schmuggelt. Fragen über Fragen kreisen durch meinen Kopf. Ist sie wirklich nett? Hat sie eine echte Zahnärztinnenausbildung oder ist ihr Zeugnis gefälscht (von einem Doktortitel lass‘ ich mich erst gar nicht blenden, genug Geschichten in der Vergangenheit)? Gibt’s da Kreislauftropfen? Hat sie Freunde? Gibt es ein schwarzes Loch für Zahnärzte? Warum wurde sie keine Frisörin? Kann man sich auch an veganen Lederstühlen festkrallen? Wie alt ist sie wohl? Hat sie Zahnärztinnenhelfer oder Zahnärztinnenhelferinnen? Was ist, wenn auch sie verschwindet? Kann ich einen online gebuchten Termin auch online wieder canceln? Verwendet sie Amalgam? Habe ich vom Behandlungsstuhl aus freie Sicht auf die rechte obere Zimmerecke?
Ich hoffe sehr, dass ich zeitnah alle Fragen ordnen oder gar beantworten kann, denn mein Termin ist nächste Woche. Sicher ist, ich werde wohl ein neues Bonusheft bekommen. Sicher ist auch, ich werde es nie wieder aus den Händen geben.
Aber mir fällt grad auf, ich hab‘ da so ein Kratzen im Hals.
Schönes Wochenende. Damit wir alle auch morgen noch kraftvoll zubeißen können,
deine Flitzer
Auch Glitzer musste schmerzhafte zahnärztliche Erfahrungen machen. Ich oute mich hier als zitierte „schräge Freundin“. Natürlich habe ich ihr vorher nicht erzählt, was alles auf sie zukommen kann. Hier kannst du ihre Geschichte lesen. Mir läuft’s da jedenfalls eiskalt den Buckel runter: Wird halb so wild. Versprochen!
Ich fühle mit dir. Mein Zahnarzt war letztens im Urlaub und ein Stück Plombe brach raus. Panik! Ich muss woanders hin!!! Und sogar was machen lassen!!!! Mein Körper reagierte sofort und schaltete in den “Kämpfe! Oder Fliehe!”-Modus. Beim ersten Termin meinte er ich könne auch warten bis mein Zahnarzt wieder kommt – und raus war ich. Dann kam wieder Panik hoch. Was, wenn es doch schlimmer wird und dann alle Zähne??? Also zweiter Anlauf und beim Neuen reparieren lassen bevor mein Zahnarzt zurück aus dem Urlaub war. Der Neue war überraschender Weise auch kein Monster und ist näher an meiner Wohnung und jünger, so dass ich beschlossen habe jetzt zu wechseln statt auf die Rente des Alten in ein paar Jahren zu warten.
Doch dank deines Beitrags weiß ich nun, dass ich trotz Herzrasen ab dem Vorabend, Adrenalinschub und Körper im “Kämpfe! Oder Fliehe”-Modus recht relaxt drauf bin 😉
Den mutigen gehört die Welt – und wie könnte man das besser beweisen als trotz Angst zum Zahnarzt zu gehen?!
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Mensch claowue… das tut mir schrecklich leid.. Ich habe deinen Kommentar bereits am Freitag beantwortet, aber irgendwie ist die Antwort verschwunden??? Ich hab keine Ahnung warum 🤷🏽♀️..Aber das Problem sitzt ja (in meinem Fall zumindest) meistens VOR dem PC 🤦🏽♀️Deshalb heute noch einmal:
Ich habe nämlich am Freitag im Radio einen Bericht über Zahnarztpanik gehört. Ein Fachmann sprach da über Phobien. Und auch für mein Problem gibt es einen Fachausdruck, ich habe grausige „Dentalphobie“. Die Diagnose ist ganz eindeutig. Mir stellt sich nur die Frage, ob man das nun in Fragebögen unter der Rubrik „Erkrankungen“ angeben muss 🤔?
Jedenfalls wünsche ich Dir einen guten Start in die Woche und ganz viel Glück mit deinem jungen Zahnarzt 😉. Wir arbeiten weiter daran und geben nicht auf 💪🏼.
Liebe Grüße
Flitzer
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🙈🙈🙈😖😖😖🙈🙈🙈!
Ich kann dich total verstehen.
Hatte im Laufe meines Lebens schon viele verschiedene Zahnärzte und leider haben einige alles dafür getan um ihrem schlechten Image gerecht zu werden 😕.
Mein jetziger Zahnarzt hat mir noch niiiieee Schmerzn oder Leid zugefügt, aber er muss mich Angsthase nun leider ertragen.
Ich sollte ihm wohl auch mal DANKE sagen 🤔!
Schönes Wochenende und ein strahlendes Lächeln!😀
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Ich wünsch‘ dir von Herzen, dass dein Zahnarzt auch künftig weiß, was er tut und du nicht wieder eine neuen suchen musst. Da hat der Spaß nämlich ein Loch.
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