Hoch konzentriert kratze ich mit einem Holzzahnstocher die bunte Masse aus den Gehäuseritzen meiner Küchenmaschine. Versuche den Geschmack verschiedener Teigreste an Löffeln und Teigschabern zu erraten. Obwohl es rational gesehen nicht möglich ist, bilde ich mir ein, dass das Gelb nach Zitrone und das Grün nach einem Hauch Pfefferminze schmeckt. Ich bin allein, zurückgeblieben nach der großen Backsause. Weiß nicht, wie lange ich schon hier stehe, und versuche alle Spuren zu beseitigen, um den Urzustand meiner Küche wiederherzustellen. Vergleichbar mit einem Tatortreiniger. Der sich, nachdem alle coolen sonnenbrillentragenden Typen ihre Arbeit erledigt haben, seiner wichtigen Rolle bewusst, an die Arbeit macht. Für Außenstehende biete ich sicherlich einen armseligen Anblick. Wie ich rasant Reste aus Ritzen kratze, lustvoll von Löffeln lecke und besonders begabt Brettchen bürste. O wie ich Alliterationen liebe, weshalb ich gleich noch sieben Stühle stapel, kräftigen Kaffee koche und stimulierende Symphonien summe. Ich ruhe in mir, habe meinen Frieden mit diesem Tag gemacht und freue mich auf den sicherlich baldigen Schlaf der Gerechten. Bis hierhin war es allerdings ein weiter Weg. Auf dem ich alles andere als entspannt entlang ging.
Los ging es ca. 3 Wochen zuvor. Als mir meine Tochter freudestrahlend mitteilte, sie würde mit zwei ihrer Freunde für eine weitere Freundin einen Geburtstagskuchen backen. In meiner Küche. Gemeinsam und ohne mein Zutun. Denn schließlich wären sie mittlerweile alt genug und bräuchten für solche Aktionen weder gute Ratschläge noch Hilfe von mir. Alles klar. Ich konnte mir allerdings die Bitte oder den gut gemeinten Vorschlag nicht verkneifen, dass mir ein zeitnaher Termin ganz recht wäre. So nah, dass der einfache aus simplem Rührteig bestehende Kuchen gut eingefroren werden kann und dann am Tag vor der großen Geburtstagsfete nur noch mit Schokolade oder was auch immer überzogen und geschmückt werden müsste.
Auf sämtliche Nachfragen meinerseits in den folgenden zwei Wochen erntete ich nur genervtes Augenrollen. Damit war ich gefühlsmäßig raus aus der Nummer. Sie wollten meine Hilfe nicht, dann sollte es mir hiermit auch egal sein. Sie würden meine Küche nutzen dürfen, aber das würde es von meiner Seite an Hilfe auch schon sein.
So nach und nach erfuhr ich von einer anderen Mutter, dass sich die Jungkonditoren bereits ihr Wunschrezept aus dem Internet geholt hatten. Ausgewählt nach dem dazu abgedruckten Bild. Die in die Pläne Eingeweihte wurde angewiesen, Fondant in Großbäckereimengen zu besorgen. Damit war mein Vorschlag vom allseits beliebten Schokoladennusskuchen mit Schokoglasur wohl vom Tisch. Na, mir sollte es egal sein.
Drei Tage vor dem Geburtstag wurde ich darüber informiert, dass am folgenden Tag das große Backen stattfinden würde. Ab 14. Uhr bei mir in der Küche. Als Unterstützung wurde die Badendande angeheuert. Badendande ist bei uns in Mittelfranken die Frau, die die Kinder zur Taufe trägt. Hat also nur im weitesten Sinne etwas mit baden zu tun. Im Rest der Bundesrepublik gibt es ähnliche Bezeichnungen für diese Personengruppe. Aus Oberbayern kenne ich den Begriff „Ged“. Dass die Wahl gerade auf sie viel, war mehr als naheliegend und überraschte mich nicht. Da waren die Kids echt clever. Sie ist es nämlich, die seit der Geburt meiner ersten Tochter zu Geburtstagen und großen Familienfeiern die Motivtorten auffährt. Mit allem drum, drin und dran. Das hat sie echt drauf. Und als ausgebildete Kinderquatschbetreuerin bringt sie die nötige Erfahrung und Geduld mit. Also tatsächlich die ideale Lösung. Auf Nachfragen meinerseits freute sie sich angeblich schon auf den Nachmittag. Naja, ehrlich gesagt konnte mir ihre Befindlichkeit egal sein. Ich wurde kurzerhand ausgetauscht und mit der einstweiligen Verfügung belegt, meine Küche während der Backaktion nicht zu betreten. Und hätte sie selbst nicht den Kindern bereits vor vielen Jahren die Bescheidenheit geraubt, müsste sie jetzt auch nicht ran. Dann wären Muffins mit Schokoglasur eine wirkliche Option. Aber neiiiin, die sind zu popelig.
Pünktlich um 12.30 Uhr waren alle Bäcker anwesend, bis auf die Badendande. Diesen Umstand teilte ich ihr umgehend mit, woraufhin sie um 13 Uhr gut gelaunt und hoch motiviert vor Ort eintraf. Wohlwissend ihrer heutigen Herkulesaufgabe, gekleidet im Kampfshirt, das sie im letzten Herbst bei einem Hindernislauf mit vollem Körpereinsatz und ungebrochener mentaler Stärke als Trophäe erworben hatte. Naiv war sie noch nie, trotz der Vorfreude erahnte sie, was auf sie zukäme.
Die Bäcker legten ihre Schätze in die Küche und ich wurde aus derselbigen geschickt, erreichte gerade die Terrassentür, als die Frage kam, wo denn der Rest der Zutaten sei. Die Kids hatten Fondant, Zuckerstreusel, Lebensmittelfarbe und Zuckerschrift dabei. Und sonst nix. Denn Achtung: Alles andere hätten gute Hausfrauen eh immer daheim. Der Hinweis meinerseits auf Speisekammer und Kühlschrank war letztendlich nicht aussagekräftig genug und so wurde meine Hilfe beim Bereitstellen der Grundzutaten doch noch benötigt. Danach war ich aber auch wieder weg.
Abstand
Ich schaffte räumlichen Abstand, indem ich mir Arbeit im Garten vornahm, welche allerdings durch regelmäßige Nachfragen zu Backformen, Eiern, Vanilleextrakt und sonstigem unterbrochen wurde. So bekam ich nur am Rande mit, dass der erste Teigversuch im Hühnereimer landete. Nicht, ohne dass sich meine Kleinen zuvor eine angemessene Menge einverleibten. Durch sie flog das Missgeschick erst auf, da sie mit Regenbogenfarben um den Mund bei mir im Garten auftauchten. Das war der Moment, in dem ich entschied, mal kurz mit dem Rad zum nahegelegenen Supermarkt aufzubrechen, um meine Vorräte aufzufüllen. Auf Nachfragen waren sich die Meisterbäcker einig, dass ihrerseits keine weiteren Lebensmittel vonnöten wären. Was sich bis zum Eintreffen im Gemischtwarenladen ändern sollte, denn da bekam ich bereits die Nachricht, nochmal Eiernachschub mitzubringen. Diese wurden dann doch nicht mehr benötigt, weil die Bäcker dank ihres Kunstunterrichts darauf gekommen waren, welchen überflüssig eingefärbten Teig sie mit welchem mischen mussten, um einen neuen brauchbaren Farbton zu bekommen. Immerhin!
Backen, Cremen, Zusammensetzen
Vom weiteren Verlauf des Geschehens gibt es Bilder, aber von meiner Seite nur ein großes schwarzes Loch der Unwissenheit.
Um 16.30 Uhr gab die Badendande mit den Worten: „Ich bin raus. Die Deko müssen sie jetzt allein drauf machen.“ auf. Sie tauchte völlig erschöpft bei mir im Garten auf, verlangte nach einem Kaffee, den ich ihr aus der Küche holte und sofort die Ursache ihres Erschöpfungszustandes erkannte. Chaos. Von Glückshormonen durchströmte Jugendliche, die sich daran machten, das Kunstwerk zu vollenden und dabei aus dem Vollen schöpften. Klotzen, nicht kleckern, war ganz offensichtlich die Devise. Alles musste drauf und dran. Eine weitere Stunde gestalten die drei mit einer Hingabe das Äußere der Torte, wie ich es mir nicht hätte träumen lassen. Und das Ergebnis konnte sich wirklich sehen lassen.

Mir blieb nur noch die Aufgabe, den Kühlschrank im Keller zu leeren, um das Meisterwerk bis zum Montag kühl zu halten. Da aufgrund der Ausmaße keine Tortenhaube darübergestülpt werden konnte, entschied ich mich dazu, den Kühlschrank komplett zu leeren, um Geruchs- und Geschmacksveränderungen zu vermeiden.
Und da stehe ich nun. In der von den Bäckern bereits „aufgeräumten“ Küche. Arbeite mich im Uhrzeigersinn von einer Seite zur anderen und vermisse mal wieder das tolle Kurzprogramm meiner alten Spülmaschine. Jetzt bin ich es, die alle aus MEINER Küche verbannt hat. Zuerst hektisch, dann zunehmend ruhiger, arbeite ich mich in eine Art Meditation, in der ich rasant Reste aus Ritzen kratze, lustvoll von Löffeln lecke und besonders begabt Brettchen bürste. Und als ich am Ende die Küchentür öffne und das klebrige Zuckerzeug an der Klinke spüre, entscheide ich mich dafür, es gut sein zu lassen. Da ich sicherlich in den nächsten Tagen noch so einiges an Teigresten und Fondant an den unmöglichsten Ecken entdecken werde. Ganz so, als wollte mir diese Torte klar machen, dass ich manchmal zu erwachsen, zu vernünftig und zu rational denkend bin. An meinen vorgeschlagenen Schokoladennusskuchen würde sich bereits nächste Woche keiner mehr erinnern. Aber die Backaktion mit allen Turbulenzen vergessen die Kids bestimmt nicht so schnell. Also die Badendande und ich nicht.
Danke dafür!
Liebe Grüße, Glitzer
😱 oh neeee… Glitzer, ich habe ein unendlich schlechtes Gewissen 😞.. gerne hätte ich dir bei der Beseitigung des Szenarios geholfen. Wohl aus Bequemlichkeit glaubte ich meiner Tochter, dass sie die Küche sauber verlassen hätten. Nicht, weil ich als Mutter meinen Kindern beibringen konnte, wann eine Küche sauber und wann sie richtig sauber ist, sondern weil ich dem Irrglauben verfallen war, dass dies anderen Müttern gelungen ist. Es tut mir sehr leid, ich versuche es wieder gut zu machen 🍾. Danke😘. Deine Flitzer
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Brauchst wirklich kein schlechtes Gewissen zu haben. Die Kids haben ihr Bestes gegeben. Du kennst das ja gut von Halloween, da steigt jedes Jahr die Sause in Deiner Küche. Also nichts für ungut. Deinem Entschuldigungsvorschlag mit Sektchen werde ich vermutlich trotzdem eine Chance geben. Ich lass bei meinem Friseurtermin jetzt dann einfach die Farbe weg und komm in der frei gewordenen Zeit zu Dir auf ein Gläschen. Das klingt doch nach nem spitzen Plan. LG Glitzer
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Schön war’s 😁.. und auch ohne Farbe siehst du ganz super aus🤷🏼♀️💃.. ist für die Umwelt eh viel besser😜
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Schöne Torte!! Leckere Torte!! Ich durfte kosten. 🐰 verdient einen Orden! Es ist jedoch klar, dass sie nun 4x im Jahr backen darf. Sollen ja alle aus der Bande so eine Torte bekommen 😉. Ich bin schon neugierig auf die nächsten Exemplare!
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Meine Küche können sie gerne wieder haben. Auch Eier und Salz, Butter und Schmalz, Milch und Mehl …… nur Safran hab ich keinen. LG Glitzer
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